Politikverdrossenheit und der Spahn-Faktor

Ich weiß, dass es ein Satz ist, den ich nach meinen eigenen Ansprüchen nicht formulieren sollte, aber wenn ich Jens Spahn sehe, ekelt es mich.

Diese Person steht für alles, was ich an etablierter Politik nicht mag. Für eine Politik, die – und das betrifft alle Parteien, auch die selbsternannte Alternative – hauptsächlich aus Berufspolitikern besteht, die ihre eigene Karriere im Blick haben. Besonders deutlich wird das eben an Herrn Spahn.

Gescheitert als Bundesgesundheitsminister

Von den ca. 5,7 Milliarden Masken, die während der Corona-Pandemie gekauft wurden, sind unter seiner Endverantwortung als Bundesgesundheitsminister nur rund 1,7 Milliarden tatsächlich in Deutschland verteilt worden. Doch auch das Lagern, Prüfen und Vernichten der ungenutzten Masken kostet Geld. Bis Ende 2023 fielen bereits rund 460 Millionen Euro reine Verwaltungskosten an (Lagerung, Logistik, Berater, Anwälte). Hinzu kommt eine „versteckte“ Kostenfalle, die noch zuschnappen kann. Viele Lieferanten klagen gegen den Bund, da sie im sogenannten „Open-House-Verfahren“ zwar Lieferzuschläge erhielten, die Masken jedoch nicht abgenommen oder bezahlt wurden (oft unter Verweis auf Qualitätsmängel oder Fristen). Es laufen noch an die 100 Klagen.

Ein Großteil der ursprünglich ausgegebenen sechs Milliarden Euro verpuffte, da die Ware nie genutzt wurde. Addiert man die Verwaltungs- und Vernichtungskosten sowie die drohenden Urteile hinzu, steuert die Gesamtrechnung auf bis zu zehn Milliarden Euro zu. Der Bundesrechnungshof kritisierte das Vorgehen als „massive Verschwendung“.

Während der Amtszeit von Jens Spahn kam es außerdem zu mehreren finanziellen Eingriffen in den Gesundheitsfonds und die Rücklagen der gesetzlichen Krankenkassen, um die immensen Kosten der Pandemie (Tests, Impfungen, Krankenhaus-Ausgleichszahlungen) zu decken. Der „Griff in die Rücklagen“ der Krankenkassen (ca. acht Milliarden Euro), der oft als direkte „Entnahme“ bezeichnet wird, war der politisch umstrittenste Punkt. Um den Beitragssatz für die Versicherten im Wahljahr 2021 trotz explodierender Kosten stabil zu halten, verpflichtete Spahn die gesetzlichen Krankenkassen per Gesetz, einen großen Teil ihrer über Jahre angesparten Finanzreserven abzugeben. Die einzelnen Krankenkassen mussten dieses Geld aus ihren Rücklagen an den zentralen Gesundheitsfonds überweisen. Kritiker – und die Kassen selbst – sahen darin eine Enteignung der Beitragszahler, um Löcher zu stopfen, die eigentlich der Steuerzahler, also der Bund, hätte füllen müssen.

Der Gesundheitsfonds wurde auch dazu genutzt, Krankenhäuser dafür zu entschädigen, dass sie Betten für Corona-Patienten freigehalten und planbare Operationen verschoben haben. Insgesamt flossen mehr als 10 Milliarden Euro an Ausgleichszahlungen an die Kliniken. Ein Großteil davon wurde zunächst aus der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds entnommen.

Kein „Mea culpa“

Allein die Belastungen für die gesetzliche Krankenversicherung durch Herrn Spahn bewegen sich im zweistelligen Milliardenbereich. Wie viele Milliarden noch für seine Masken-Deals dazukommen, bleibt aktuell unklar. Dass während der Corona-Zeit Fehler gemacht wurden, ist nachvollziehbar. Das laute Geheul derjenigen, die keinerlei Verantwortung tragen mussten, ist mir dabei ein Graus. Noch größer ist mein Entsetzen darüber, dass sich Jens Spahn nie klar entschuldigt hat. Er lamentierte stets herum, machte auf seinem Karriereweg weiter und kam, wie auch immer, durch die drei Jahre der Ampelkoalition, um nun als CDU/CSU-Fraktionsvorsitzender aufzutreten.

Es braucht keinen Spoiler-Alert: Er scheitert weiter.

Gescheitert als Fraktionsvorsitzender

Die Kanzlerwahl am 6. Mai 2025 war der erste große Dämpfer für Spahn. Obwohl die schwarz-rote Koalition rechnerisch eine Mehrheit hatte, verfehlte Friedrich Merz im ersten Wahlgang die erforderliche Kanzlermehrheit. Offenbar gab es Abweichler in den eigenen Reihen, die ihm die Gefolgschaft verweigerten. Jens Spahn musste in hektischen Krisengesprächen die Fraktion für den zweiten Wahlgang auf Linie bringen, um eine Blamage abzuwenden und die Wahl von Friedrich Merz sicherzustellen.

Bei der Wahl der Verfassungsrichter im Juli 2025 kam es dann zu einem offenen Eklat. Eigentlich war die Wahl von drei neuen Richtern für das Bundesverfassungsgericht als Routine geplant, darunter die SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf. Da für diese Wahl eine Zweidrittelmehrheit nötig ist, kam es auf jede Stimme an. Spahn gelang es jedoch nicht, die konservativen Hardliner in der Unionsfraktion zu überzeugen, die die SPD-Kandidatin ablehnten. Da die Union gleichzeitig Gespräche mit der Linken verweigerte und die Stimmen der AfD tabu waren, musste die Wahl am 11. Juli kurzfristig von der Tagesordnung genommen werden. Spahn wurde vorgeworfen, den internen Widerstand unterschätzt und die Abstimmung schlecht vorbereitet zu haben.

Nun droht beim Rentenpaket die nächste Zerreißprobe. Es ist völlig unklar, ob Jens Spahn bis zur Abstimmung in dieser Woche eine eigene Mehrheit der Koalition („Kanzlermehrheit“) organisieren kann. Doch statt mit Ideen zu überzeugen, droht Spahn der „Jungen Gruppe“ der Union, die die Pläne aus nachvollziehbaren Gründen ablehnt. In seiner selbstgefälligen (um nicht zu sagen arroganten) Art spricht er in Interviews von „Szenarien und Konsequenzen aufzeigen“.

Erpressungspotenzial?

Ich frage mich, welche Informationen Spahn über Friedrich Merz oder andere einflussreiche Personen in der CDU bzw. CSU in der Hand hat, sodass er weiterhin so erfolglos agieren kann. Besonders kompetent ist er erwiesenermaßen nicht.

40 Prozent für die AfD in Sachsen

Es ist eine Nachricht, die für mich nur schwer verständlich ist: Die AfD erreicht in der aktuellen Sonntagsfrage 38 Prozent. Sie liegt deutlich vor der CDU mit 27 Prozent – ein Trend, der seit Februar anhält. Natürlich kann ich Jens Spahn nicht allein die Schuld an dem Erfolg der Rechtspopulisten geben. Unsere Regierungen haben sich zunehmend davon verabschiedet, die Probleme Deutschlands, der Bundesländer, der Städte und Gemeinden bürgerorientiert zu lösen.

Jens Spahn ist jedoch ein Gesicht dieses Versagens.


Quellenangaben

Die Zahlen zur „Sonntagsfrage“ in Sachsen werden von der Sächsischen Zeitung und der Leipziger Volkszeitung zusammen mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey monatlich erhoben. Das Teaser-Bild wurde von Kai Nietfeld für die dpa erstellt.